Tiroler Lebensmittelhändler stellt Flotte auf Wasserstoff um


Der Tiroler Lebensmitteleinzelhändler Mpreis nimmt Mitte März eine firmeneigene Anlage zur Produktion von Wasserstoff in Betrieb und will als erstes mittelständisches Unternehmen Österreichs binnen sieben Jahren seinen Fuhrpark auf Brennstoffzellen-Lkw umstellen, sagte Projektleiter Ewald Perwög der APA. WWF-Energieexperte Karl Schellmann sieht Wasserstoff indes als „wertvolle Energieform“ differenziert und glaubt nicht, dass er sich im Straßenverkehr durchsetzt.

Die Ursprünge der Wasserstoff-Initiative des größten Lebensmitteleinzelhändlers in Tirol liegen im Jahr 2016, als sich das Unternehmen zur weitreichenden Dekarbonisierung entschloss, erinnert sich Perwög. Eine Analyse ergab, dass Heizen und Transport die größten Anteile am firmeneigenen CO2-Abdruck ausmachen. Schnell habe man Wasserstoff gewissermaßen als den „Alleskönner“ identifiziert. „Die Schönheit der Initiative liegt in der Gesamtheit“, fasst Perwög zusammen. Denn Wasserstoff substituiere in Zukunft nicht nur Diesel im Transport, sondern „zu einem gewissen Grad“ auch Erdgas im Produktionsbetrieb.
In der betriebseigenen Single-Stack-Elektrolyseanlage in Völs bei Innsbruck wird ab Mitte März grüner Wasserstoff produziert. In einem „Elektrolyseur“ wird wiederaufbereitetes Grundwasser durch Elektrolyse in seine Grundkomponenten Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Der dafür benötigte Strom stammt zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien – also aus Solar-, Wind- oder Wasserkraft, betonte Perwög. Bei der Elektrolyse gehe zwar Energie in Form von Wärme verloren, diese würde aber in die firmeneigene Bäckerei weitergeleitet. So könne ein Gesamtwirkungsgrad von über 90 Prozent erreicht werden, hielt Perwög fest.
Die Kapazität des firmeneigenen Elektrolyseurs bezifferte Perwög auf 1.200 Kilogramm Wasserstoff pro Tag. Dies entspreche genau der Menge an Wasserstoff, die ein komplett mit Wasserstoff betriebener Fuhrpark pro Tag benötige, erläuterte Perwög. Sowohl aus „betriebswirtschaftlichen als auch aus technologischen Gründen“ erfolge die Umstellung der Flotte auf grünen Wasserstoff aber sukzessive. Die ersten drei Brennstoff-Lkws – die ersten ihrer Art in Österreich, wie Perwög betonte – sollen noch im ersten Halbjahr 2022 die ersten Filialen anfahren. Mpreis betreibt über 300 Märkte in Tirol, Vorarlberg, Salzburg, Kärnten, Oberösterreich sowie in Südtirol.
Nach und nach sollen weitere Lkw folgen, bis in sieben Jahren der gesamte Fuhrpark mit Wasserstoff betrieben wird. „Diese Fahrzeuge stoßen nur Wasserdampf aus, sie müssen kleinere Batterien mit sich führen und das Betanken kostet gleich viel Zeit wie mit herkömmlichem Treibstoff“, listete Perwög die Vorteile auf. Dennoch baue man bei Mpreis darauf, dass die Technologie in Zukunft „besser und billiger“ werde. Noch kosten diese Brennstoffzellen-Lkw etwa vier Mal so viel wie ein vergleichbarer Dieseltruck, nämlich rund 400.000 Euro, bemerkte Perwög. Ohne Anschaffungskosten der Fahrzeuge aber inklusive EU-Förderungen bezifferte Perwög das Investitionsvolumen auf rund 13 Millionen Euro.
Der Elektrolyseur kann auch für die Stromnetzstabilisierung und -entlastung zum Einsatz kommen, ließ Perwög wissen. Mpreis nimmt in diesem Zusammenhang am EU-geförderten „Horizon2020“-Projekt mit dem Namen „Demo4Grid“ teil. „Wenn zu viel Strom im Netz ist, kann unser Elektrolyseur aktiviert werden. Dieser wandelt den Überschuss-Strom aus dem Netz in Wasserstoff um“, führte Perwög aus. Dieser Wasserstoff werde wiederum in Tanks am Firmengelände zwischengelagert.
Die Verwendung von Wasserstoff als punktuellen Stromnetzstabilisator sah auch WWF-Experte Schellmann im APA-Interview als mögliche Anwendung, betonte aber sogleich: „Wir befinden uns gerade in einer Übergangsphase.“ Die Verwendung von grünem, also aus erneuerbaren Energien gewonnenem, Wasserstoff verortete der Experte „noch im experimentellen Bereich“. Umso mehr seien mutige Initiativen aus der Wirtschaft zu begrüßen. Für eine „großflächige“ Anwendung in der Mobilität sah Schellmann den„direkten Strombetrieb“ – also Batterie-elektrisch betriebene Fahrzeuge – aber als die bessere Lösung. Es gebe bereits straßentaugliche Lkw mit direktem Stromantrieb, der „deutlich effizienter“ sei. Zudem würden sich Speichertechnologien schnell weiterentwickeln.
Wasserstoff zählt neben Biomethan, das aus Abfällen oder in Ausnahmen aus Energiepflanzen gewonnen werden muss, und synthetischem Methan zu den erneuerbaren Gasen. Fossiles Gas ist in Österreich für rund 20 Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich. Addiert man die „schwer einschätzbaren Mengen, die aus Bohrlöchern oder undichten Leitungen direkt in die Atmosphäre gelangen oder bei der Erdölförderung einfach abgefackelt werden“, sei der Schaden noch viel größer, unterstrich Schellmann. Aktuell werden in Österreich pro Jahr etwa 8,8 Milliarden Kubikmeter an fossilem Gas eingesetzt. Ein Ersatz dieser Mengen mit grünem Gas wird aus WWF-Sicht nicht möglich sein, betonte Schellmann.
Grüner Wasserstoff sei aktuell noch kaum am Markt und werde auch in Zukunft knapp und teuer sein, sagte WWF-Experte Schellmann, und solle deshalb nur in Bereichen eingesetzt werden, wo keine anderen Möglichkeiten bestehen – etwa in der Eisen- und Stahlindustrie, in der Chemischen Industrie oder „punktuell“ zur Stabilisierung des Stromnetzes. Zudem gehe bei der Elektrolyse viel Energie verloren. „In halbwegs geschlossenen Systemen“, also mit eigenem Photovoltaik-Strom, kann aber eine Wasserstoff-Initiative in der Privatwirtschaft „durchaus Sinn machen“, räumte Schellmann ein und ergänzte: „Pioniere sind wichtig, denn sie zeigen, dass man neue Wege gehen kann.“ Genauso wichtig sei aber „der richtige Einsatz dieser wertvollen Energieform“.
Als ein solcher „Nachhaltigkeitspionier“ sieht sich Mpreis. Die Geschäftsführer Peter Paul und David Mölk, die den Familienbetrieb in vierter Generation leiten, verwiesen auf APA-Anfrage darauf, dass sich das Unternehmen schon lange in Bereichen wie Photovoltaik, Supermärkte im „Passivhausstandard“ oder „100 Prozent Ökostrom im gesamten Unternehmen“ engagiere. Für die Wasserstoff-Initiative seien „Mut und Entschlossenheit und einiges an Überzeugungsarbeit“ vonnöten gewesen, betonten die Cousins.
Der am Firmengelände produzierte Wasserstoff soll künftig nicht nur für die Betankung der eigenen Fahrzeuge und die Erzeugung von Prozesswärme für die Backöfen der Bäckerei verwendet werden, umriss unterdessen Perwög die Vision des Mittelständers. Der Weiterverkauf von Wasserstoff sei aktuell zwar noch kein Thema, im „weiteren Projektverlauf“ könne die Errichtung einer „öffentlich nutzbaren Tankstelle, an der auch Private und andere Betriebe ihre Fahrzeuge betanken können“ aber „durchaus Sinn machen“. Zudem beteilige man sich an dem Projekt HyWest, wo sich Mpreis, die Zillertaler Verkehrsbetriebe AG und der landeseigene Energieversorger Tiwag zu ihren komplementär entwickelten Wasserstoff-Initiativen austauschen und einander künftig auch „aushelfen“ könnten, wenn irgendwo Wasserstoff fehle, wie Perwög erläuterte.